BIHK-Diskussionsveranstaltung „Luftreinhaltung in Europa“

Es braucht Lösungen – und das schnell

Selten haben die bayerischen IHKs in Brüssel ein so heißes Eisen angepackt: „Luftreinhaltung in Europa – Perspektiven aus Wirtschaft und Kommunen“ lautete der Titel der Podiumsdiskussion am 28. Februar in der bayerischen Wirtschaft der Vertretung des Freistaates Bayern bei der Europäischen Union. Es gibt derzeit – außer Donald Trump – kein Thema, das die Wirtschaft mehr beschäftigt. Barbara Schretter, Leiterin der Bayerischen Landesvertretung, beglückwünschte die Veranstalter zu dem perfekten Timing. Einen Tag zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Dieselfahrverbote für grundsätzlich zulässig erklärt. Damit rückt das Szenario näher, das Städte und Wirtschaft unbedingt vermeiden wollen. IHK-Hauptgeschäftsführer Peter Driessen erinnerte daran, was auf dem Spiel steht: die städtische Mobilität, der reibungslose Wirtschaftsverkehr, die Versorgung des Einzelhandels, der Hotellerie und Gastronomie. Hundertausende Pendler seien auf die Fahrt mit dem Auto angewiesen. Wie also das Dilemma lösen?

„Die Menschen erwarten technische Lösungen“

Hier zeigte sich in der Diskussion schnell: Die Option Nichtstun scheidet ebenso aus wie die Forderung nach einfachen Lösungen. Barbara Schretter erinnerte an den öffentlichen Druck, unter dem heute alle Akteure stünden. „Die Menschen erwarten technische Lösungen“, sagte Schretter. Es gehe längst nicht mehr nur um technische Umsetzungsdetails. Der Diesel-Skandal habe dem Staat und der Autoindustrie immens viel Vertrauen gekostet. Man müsse beweisen, dass man im Interesse der Wirtschaft und der Menschen handlungsfähig sei. Veronica Manfredi, in der Generaldirektion für Umwelt Direktorin für Lebensqualität, widersprach dem Vorwurf der Medien, bei der Luftreinhaltung bewege sich nichts. Manfredi sprach von deutlichen Fortschritten. Fahrzeuge stoßen ihren Worten zufolge heute deutschlandweit rund 67 Prozent weniger Stickoxide aus als 1990. In einem Punkt gab sie sich jedoch kompromisslos: Es gebe immer noch regelmäßige Grenzwertüberschreitungen bei den Stickoxiden. Das dürfe niemand tolerieren.

Der Umstieg auf Benziner ist auch keine Lösung

IHK-Chef Driessen teilte diese Einsicht. Auch die Wirtschaft wolle und profitiere von sauberer Luft. Nur müssten die Ziele technisch erreichbar seien. Am Diesel-Bashing mag sich Driessen nicht beteiligen. „Wenn wir von Diesel auf Benziner umsteigen, würden die CO2-Emmissionen deutlich zunehmen. Zudem gibt es eine ganze Reihe anderer Emissionen, die derzeit völlig ausgeblendet werden. Das kann keine Lösung sein“, meinte der IHK-Chef. Die Gesundheit der Bevölkerung hänge von vielen Faktoren ab. Unter dem Strich sei die Lebenserwartung in der EU in den jüngsten Jahrzehnten um nahezu drei Monate pro Kopf und Jahr gestiegen und liege in den Städten – trotz höherer Schadstoffbelastung – sogar höher als in ländlichen Regionen. Seiner Ansicht nach fielen Fortschritte in der Luftreinhaltung leichter, wenn dies mit anderen Zielen der EU – etwa der Förderung von Wachstum, Innovation und Beschäftigung – besser koordiniert wäre.

Die EU-Kommission hat die Probleme mitverursacht

Auch Lars Purkarthofer, Leiter der UPS Repräsentanz Deutschland, kritisierte die Arbeit der EU-Kommission. Wenn sie die Einhaltung der Grenzwerte wolle, müsse sie für eine einheitliche Umsetzung sorgen. Der heutige Flickenteppich unterschiedlicher Standards mache europaweit tätigen Firmen das Leben unnötig schwer. Julie Girling, im Europaparlament Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, räumte ein, die Kommission habe mit fehlender Kontrolle die Diesel-Krise mitverschuldet. Nun aber habe man verstanden. Sie griff Driessens Vorschlag auf und forderte, in der Kommission selbst müssten die Generaldirektionen besser zusammenarbeiten und die Richtlinien möglichst widerspruchsfrei aufeinander abstimmen.

Einfache Lösungen nicht in Sicht

Die Experten auf dem Podium waren sich einig, dass Einzelmaßnahmen wie Fahrverbote sinnlos sind. Gebraucht würde ein Gesamtkonzept, wie es etwa die Bundesregierung mit ihrem „Sofortprogramm Saubere Luft 2017-2020“ auf den Tisch gelegt hat: mehr ÖPNV, E-Busse, Radwege, E-Mobilität und die Entwicklung nachhaltiger Verkehrskonzepte. Harald Rau, Leiter des Umweltdezernats der Stadt Köln, sagte, auch die Energieversorger mit ihren Kohlekraftwerken müssten in die Überlegungen mit einbezogen werden. IHK-Chef Driessen rechnete vor, in München seien derzeit auch nach einem Dieselfahrverbot Grenzwertüberschreitungen nicht zu vermeiden. Driessen wies darauf hin, dass in den USA 2,5-mal so viel Stickstoffdioxid als unbedenklich gelte als in der EU. Er schlug vor, die EU solle eine gewisse „Bandbreite“ der Schadstoff-Messwerte tolerieren. Kommissionsvertreterin Manfredi hielt davon ebenso wenig wie Harald Rau. Ihre Argument: Für die Wirtschaft sei es sogar dienlich, scharfe Grenzwerte zu haben. Das fördere die Wettbewerbsfähigkeit und die Entwicklung neuer Technologien für weltweite Märkte. Für Rau geht es da auch um eine neue soziale Frage. Verkehrslärm und Luftschadstoffe träfen einkommensschwächere Menschen härter, weil sie sich keine besseren Wohnlagen leisten könnten.

Das alte Dilemma der Verkehrspolitik

Julie Girling sprach schließlich den wunden Punkt der Debatte an. Möglichkeiten gibt es viele – von der Hardware-Nachrüstung bestehender Dieselfahrzeuge bis hin zu futuristischen Smart City-Strategien. Nur zahlen will dafür keiner. Das alte Dilemma der Verkehrspolitik. Darauf hatte in Brüssel niemand eine Antwort.

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