Transatlantische Handelsbeziehungen im Wandel: Podiumsdiskussion des BIHK in Brüssel

Am 18. November 2025 luden die bayerischen Industrie- und Handelskammern gemeinsam mit der EU-Repräsentation der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) unterstützt vom European Enterprise Network zu einer Podiumsdiskussion in die Bayerische Vertretung bei der EU ein. Unter dem Titel „Zwischen Handschlag und Handelskrieg: Transatlantische Kooperation und Konfrontation“ stand ein Jahr nach der Wiederwahl Donald Trumps die Frage im Zentrum, wie Europa auf die veränderten geopolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen reagieren kann.

Zum Auftakt analysierte Samina Sultan (IW Köln) die tiefgreifenden Verschiebungen in den globalen Handelsströmen. Während der US-Warenimport aus der EU seit 2010 stetig anstieg, von 10 % auf 18,4 % im Jahr 2024, ging der Anteil chinesischer Importe zwischen 2015 und 2025 von 21,3 % auf 13,8 % deutlich zurück. Diese Entwicklungen, so Sultan, zeigten einerseits die wachsende Bedeutung Europas für die USA, andererseits aber auch die zunehmende Dynamik und Unsicherheit globaler Märkte. Diese Analyse bildete den Rahmen für die anschließende Diskussion: Nutzt die EU ihre wirtschaftliche Stärke strategisch genug  oder bleibt Europa hinter seinen Möglichkeiten zurück?

Unter der Moderation von Sebastian Köberl (WKÖ) diskutierten Rupert Schlegelmilch (Europäische Kommission), MEP Helmut Brandstätter, Eva Liebmann (stellv. Generalsekretärin der WKÖ) sowie die bayerische Unternehmerin Sonja Wiedemann über die neue Realität der transatlantischen Beziehungen. Rasch wurde deutlich, wie verletzlich Europas Wirtschaft trotz ihrer Bedeutung für die USA ist: Rund 30 % von mehr als 5.200 importierten US-Produkten stammen aus EU-Mitgliedstaaten. Eine starke Ausgangsposition, die jedoch in Verhandlungen bislang zu selten selbstbewusst genutzt werde.

Geopolitische Abhängigkeiten und ein „Zeitenende“
Besonders eindrücklich warnte MEP Helmut Brandstätter vor einer dramatischen Verschiebung der Kräfteverhältnisse. Wir stünden, so formulierte er, „nicht vor einer Zeitenwende, sondern vor einem Zeitenende“ der bisherigen transatlantischen Verlässlichkeit. Die Abhängigkeiten Europas seien immens: von militärischen Sicherheitsstrukturen bis hin zu digitalen Diensten wie Cloud- oder Geheimdienstsystemen großer US-Techkonzerne. Auch wenn Europa wirtschaftlich ein wichtiger Partner sei, hätten die USA aufgrund ihrer Infrastruktur und technologischen Dominanz im Falle eines Handelskonflikts den längeren Hebel.

Wie konkret sich diese Abhängigkeiten auswirken, schilderte Sonja Wiedemann, Geschäftsführerin der STW – Sensor-Technik Wiedemann GmbH. Ihr Unternehmen ist auf tausende Bauteile für die Halbleiterproduktion angewiesen und damit äußerst störanfällig. Bereits die Lieferkettenengpässe während der Covid-19-Pandemie 2022 hätten gezeigt, wie rasch Produktionsprozesse ins Wanken geraten können und wie dringend Europa resilientere Strukturen brauche. Die Abhängigkeiten seien das Eine. Ein weiteres, europäisches Problem für sie ist keine fehlende Innovation, sie sagt: „Wir haben die Ideen, aber unser großer Wettbewerbsnachteil ist die mangelnde Produktivität.“

Einigkeit herrschte unter den Diskutierenden darüber, dass Europa schneller, geeinter und strategischer handeln müsse. Zwar existierten zahlreiche Handelsabkommen, etwa mit vielen afrikanischen Staaten, doch fehlten häufig Investitionen vor Ort. Beim MERCOSUR-Abkommen seien zudem viele falsche Informationen in Umlauf, betonte Rupert Schlegelmilch, insbesondere die Behauptung, Europas Agrarmärkte würden dadurch massiv geschwächt. Tatsächlich böte das Abkommen Chancen für neue Partnerschaften und Diversifizierung.

Zum Abschluss formulierten die Podiumsgäste klare Erwartungen:

  • Rupert Schlegelmilch: Mehr Stabilität und Planungssicherheit für Unternehmen. Zudem solle Europa gezielt Partnerschaften auf Ebene der US-Bundesstaaten stärken, mit Universitäten, NGOs und regionalen Regierungen.
  • Eva Liebmann: Europa müsse seinen Ruf als verlässlicher Handelspartner weiter ausbauen, das sei eine strategische Chance.
  • Helmut Brandstätter: Er plädierte für ein einheitlicheres Auftreten der EU und für eine europäische Steuer, um gemeinsame Projekte solide zu finanzieren.
  • Sonja Wiedemann: Sie wünscht sich mehr Austausch zwischen der Politik und mittelständischen Unternehmen und weniger wirtschaftspolitische Debatten, die sich nur auf Großunternehmen und Gewerkschaften konzentrieren.


Die Veranstaltung machte deutlich, wie grundlegend sich die internationalen wirtschaftlichen und geopolitischen Rahmenbedingungen seit 2024 verändert haben. In diesem Spannungsfeld zwischen Kooperation und Konfrontation, zwischen Chancen und Risiken steht Europa vor der Aufgabe, seine wirtschaftliche Stärke und politische Handlungsfähigkeit neu zu definieren. Die transatlantischen Beziehungen bleiben dabei eines der zentralen Spielfelder für Europas Zukunft.

Weitere Informationen

Downloads

Hier finden Sie BIHK-Publikationen, Positionierungen und Stellungnahmen zum Download.

Download

Pressebereich

Hier finden Sie unsere Pressemitteilungen, Bildmaterial sowie Ansprechpartner für Presseanfragen.

Zum Pressebereich