Expertenrunde zu fairem Handel und nachhaltigen Produkten am 25. September 2025 in Brüssel
Direktvertriebsplattformen aus Drittstaaten im online-Handel umgehen häufig Zoll-, Steuer- und Produktsicherheitsvorgaben. Dadurch kommt es zu unfairem Wettbewerb, der auch den stationären Handel beeinträchtigt. Mit dem Green Deal hat sich die Europäische Union ambitionierte Ziele gesetzt, um Klimaneutralität und nachhaltige Wertschöpfung zu fördern. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass viele der neuen Vorgaben vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) überfordern.
Im Rahmen einer gemeinsamen Expertenrunde des Bayerischen Industrie und Handelskammertages (BIHK) und der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) am 25. September 2025 in der Vertretung des Freistaats Bayern bei der Europäischen Union wurde deutlich, dass die aktuelle Regulierungsflut aus Brüssel zwar hehre Absichten verfolgt, die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstands aber zunehmend gefährdet. Im Austausch mit der Europaabgeordneten Marion Walsmann sowie den Vertretern der Europäischen Kommission – darunter Werner Stengg (Kabinettsmitglied von EU-Vizepräsidentin Virkkunen), Olivier de Clercq (DG ENV) und Wolfgang Trunk (DG ENV) – wurde unter der Moderation von Sandra Parthie (Institut der deutschen Wirtschaft, Brüssel) von Unternehmerseite betont, dass die Vielzahl paralleler EU-Gesetzesinitiativen in Summe zu einer untragbaren Belastung führen könne. Jede Generaldirektion arbeite an eigenen Vorgaben, die für sich genommen „nur“ geringe Aufwände verursachen, in der Gesamtheit aber das Fass zum Überlaufen bringen könnten.
Faire Wettbewerbsbedingungen im E-Commerce
Ein Schwerpunktthema war der faire Wettbewerb im Onlinehandel. Europäische Händler geraten zunehmend unter Druck durch Direktvertriebsplattformen aus Drittstaaten, die häufig Zoll-, Steuer- und Produktsicherheitsvorgaben umgehen. Positiv wurde hervorgehoben, dass die EU-Kommission das Problem erkannt hat und Reformen im Zollrecht sowie strengere Marktüberwachung plant. Dies wurde von den Unternehmensvertretern ausdrücklich begrüßt – als Schritt in Richtung fairer Wettbewerbsbedingungen
Zentrale Forderungen der Wirtschaft zum Fairen Handel:
- Konsequente Kontrolle und Durchsetzung bestehender Regelwerke wie DSA und DMA („gleiche Regeln für alle Anbieter“) – kein Regulierungsdefizit, sondern ein Umsetzungsproblem.
- Verpflichtende Benennung eines EU-Vertreters („fiktiver Einführer“) für Drittstaaten-Plattformen.
- Digitalisierung und bessere Vernetzung der Zollbehörden; Einnahmen aus Bearbeitungsgebühren zweckgebunden zur Modernisierung verwenden.
Green Deal-Regulierung trifft KMU unverhältnismäßig stark
Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft diskutierten auch die Herausforderungen, die sich aus neuen EU-Regelungen zum Green Deal ergeben, wie der
- Ökodesign-Verordnung und Digitaler Produktpass, der
- erweiterten Herstellerverantwortung (EPR), der
- Green-Claims-Richtlinie oder der
- Entwaldungsverordnung (EUDR).
Besonders deutlich wurde dabei: Während große Unternehmen über eigene Compliance-Strukturen verfügen, stehen KMU vor einem kaum noch zu bewältigenden Regulierungsdruck.
Zentrale Forderungen zum Bürokratieabbau durch den Umwelt-Omnibus:
Einigkeit bestand darin, dass Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit kein Widerspruch sein dürfen. Der sogenannte Umwelt-Omnibus der EU bietet nach Ansicht der Wirtschaft eine einmalige Chance, Fehlentwicklungen zu korrigieren und kleine wie mittlere Unternehmen konkret zu entlasten. Die Einführung einer neuen Small-Mid-Cap-Kategorie (bis 750 Beschäftigte) könne z.B. als neue De-minimis-Schwelle dienen, um Ausnahmetatbestände zu definieren und praxistaugliche Grenzen zu schaffen. Aus Sicht der IHK für München und Oberbayern müsse künftig bei jeder neuen Regulierung zuerst geprüft werden, ob sie für KMU überhaupt umsetzbar sei – nicht nur isoliert, sondern im Kontext der bereits bestehenden Bürokratieanforderungen. „Nur wenn Europa seine Unternehmen entlastet, bleibt der Green Deal wirtschaftlich tragfähig“, lautete das einhellige Fazit der Diskussion. Konkrete Forderungen waren:
Ökodesign-Verordnung & Digitaler Produktpass (DPP)
- Ausnahmen und Vereinfachungen für KMU gesetzlich festschreiben.
- Keine Pflicht zur permanenten Aktualisierung produktbezogener Daten.
- Schutz von Geschäftsgeheimnissen sicherstellen.
- Trickle-Down-Effekte in der Lieferkette vermeiden.
- Gebrauchtwaren vom Anwendungsbereich ausnehmen.
Erweiterte Herstellerverantwortung (EPR) & Verpackungsverordnung (PPWR)
- Einführung von Bagatellgrenzen für Kleinst- und Kleinunternehmen.
- EU-weiter „One-Stop-Shop“ zur Registrierung in Herstellerregistern.
- Einheitliche Kennzeichnungssysteme und keine nationalen Sonderwege.
- Kunststoffrecycling wirtschaftlich wettbewerbsfähig gestalten.
Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
- Gebrauchtwaren ausnehmen, um Second-Hand-Märkte zu schützen.
- Mindestschwellen für Kleinst- und Kleinunternehmen einführen.
- Praxistests vor Inkrafttreten neuer Regeln.
Green-Claims-Richtlinie
- Gesetzgebungsverfahren überarbeiten oder stoppen.
- Keine Vorabzertifizierungspflichten für KMU.
- Schutz vor Greenhushing durch klare, europaweit einheitliche Regeln.
EU-Entwaldungsverordnung (EUDR)
- Test- und Übergangsphasen ohne Sanktionen einführen.
- Alternativen zur Geolokalisierungspflicht zulassen.
- Null-Risiko-Kategorie für Länder mit geringem Entwaldungsrisiko.
- Anwendung des Once-Only-Prinzips entlang der Lieferkette.
Verständnis aus Brüssel, aber noch Handlungsbedarf
Das Gespräch mit den EU-Vertretern zeigte, dass die Kommission zunehmend sensibel für die Herausforderungen der Wirtschaft wird. Das Verständnis für die Anliegen des Mittelstands – insbesondere im Hinblick auf Wettbewerbsverzerrungen im E-Commerce – ist vorhanden. Doch bleibt die entscheidende Aufgabe, künftige Regulierungen von Beginn an mittelstandsgerecht zu gestalten. So wurde von den Diskutierenden mehrfach betont, dass die EU in ihrer Gesetzgebung bislang zu stark auf große Marktakteure ausgerichtet sei. Die Folge: Kleine Unternehmen werden übersehen – und geraten in der Folge durch unverhältnismäßige Pflichten unter Druck. Daher müssen entweder Ausnahmen definiert werden, z.B. über die Small Mid Cap Grenze, oder besser wäre es, die Regulierungen von Anfang an auf KMU zuzuschneiden und dies vor Veröffentlichung anhand von Praxis-Checks zu prüfen. Entscheidend wird nun ganz konkret sein, dass die angekündigten Entlastungsinitiativen – insbesondere im Rahmen des Umwelt-Omnibus – zügig und konsequent umgesetzt werden. Nur so kann der europäische Mittelstand die Transformation zur nachhaltigen Wirtschaft erfolgreich bewältigen.
Download Impulspapier "Expertenrunde zu fairem Handel und nachhaltigen Produkten"