Im Advent sollte die Stimmung ja besinnlich sein. Am 2. Dezember waren im Feuerbachsaal der IHK Nürnberg aber eher Frust, Ärger und Sorgen zu spüren. Die bayerischen IHKs (BIHK) hatten am 2. Dezember zur „BIHK-Brennerkonferenz – Perspektiven im Transitverkehr“ ins Haus der Wirtschaft geladen. 95 sachkundige Teilnehmer kamen, Spediteure, Logistiker, Mitglieder der IHK-Verkehrsausschüsse und der alpenländischen Wirtschaftskammern.
Wie sehr es bei dem Thema brennt, schilderte vor der Konferenz die Vertreterin eines Großkonzerns in einer Kaffeerunde. Sie sagte, man spreche seit Jahren mit Politik, Verbänden und EU-Kommission über das, was klemmt im Alpentransit. Erreicht habe man: nichts. „Bei keinem hat das Prio 1“, lautete ihre Befund. Die Politik gab ihr an diesem Tag recht.
Kein Vertreter der Staatsregierung wollte der IHK-Einladung nach Nürnberg folgen. Der „Auto-Gipfel“ in München war wichtiger. Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) las in einer Video-Botschaft ein paar Sätze vom Teleprompter ab, die nicht gerade für Euphorie sorgten. Thomas Baumgartner von der Handelskammer Bozen befand, Bernreiter habe wenig zu sagen. Stephan Doppelhammer, Verbandschef der bayerischen Logistikbranche, kritisierte, die Politik habe nicht verstanden, wie sehr die Wirtschaft Bayerns von dem Transitproblemen betroffen sei.
Georg Dettendorfer, Vorsitzender des DIHK-Verkehrsausschusses, sagte, das Problem sei nicht die Brückensanierung. Die eigentliche Katastrophe sei der Zustand unserer Straßen, Schienen und Brücken. „Warum“, fragte Dettendorfer, „wurde das 30 Jahre lang kaputtgespart?“ Für ihn ist ein Kipppunkt erreicht. Er habe genug von schönen Worten der Politik: „Wir brauchen Lösungen.“
Auch deshalb hatten die IHKs Vertreter Sloweniens und der Schweiz eingeladen. Eine gute Idee, wie sich zeigen sollte. Hans Peter Hefti von der Handelskammer Deutschland-Schweiz, sagte, Staus, okay, die gebe es auch am Gotthard. Aber den „Wahnsinn am Brenner“ (tz) müsse man selbst erlebt haben. Rückstaus bis zu 45 Kilometern. Das sei eine ganz andere Dimension.
Thomas Baumgartner betonte, für Italiens Wirtschaft sei es eine existenzielle Frage, wie es am Brenner weitergehe. 70 Prozent der Exporte gingen über die Alpen, der größte Teil davon über den Brenner. Schon heute, klagte Baumgartner, habe die Route wegen Fahrverboten, Blockabfertigung und Baustellen die Hälfte ihrer Leistungsfähigkeit eingebüßt. „Wenn die Politik weiter nichts tut, schliddern wir ins Chaos“, warnte der Spediteur.
Auf der Alpen-Nordseite sind die Sorgen nicht kleiner. Markus Lötzsch, Hauptgeschäftsführer der IHK Nürnberg, bangt um Handelsbeziehungen, die etwa mit Venedig in Jahrhunderten gewachsen seien. Lötzsch geht davon aus, dass mit der Sanierung der Lueg-Brücke eine neues Kapitel für den Handel mit Italien beginnt. Das werde die Lieferketten massiv treffen. Die Wirtschaft habe in der Breite nicht begriffen, was da auf sie zukomme.
ASFINAG-Chef Stephan Siegele mühte sich in der IHK erfolgreich um Transparenz. Seine Botschaft: Wir kriegen das hin, es hätte schlimmer kommen können. Mit seinem Konzept wird der Albtraum einer Vollsperrung vermieden, LKWs können weiter über die Brücke rollen. Vom 1. Januar 2025 an wird die Brücke aber nur noch einspurig befahrbar sein. An 170 Tagen gibt es Zweispurigkeit. Dazu kommen pro Jahr 15 Tage mit Lkw-Fahrverbot.
Das Ganze gilt etwa drei Jahre lang, bis die neue Lueg-Brücke steht. Ein Engpass auf einer Autobahn, über die pro Jahr 2,5 Millionen Lkws rollen. Wie geht man damit um? Sicher ist: Es wird teurer. Wenn das ASFINAG-Konzept funktioniert, beziffert eine Studie der Handelskammer Bozen die Kosten für den Transitverkehr auf rund 180 Millionen Euro. Wenn es scheitert, sind es 650 Millionen.
Markus Mallmann, Geschäftsführer von GVS Lebensmittelhandel, sagte, Lieferungen „Just-in-Time“ seien von 2025 an kaum noch möglich. Man sei gezwungen, wieder mit Lagerflächen zu arbeiten. Für die Kunden bedeute das höhere Preise, möglicherweise seien einige Produkte nicht mehr lieferbar. Ausweichrouten ja, aber die müssten sich rechnen: „Bei uns geht es um Zehntelcent pro Palette.“
Tobias Köcher von Schwarz Logistik sagte, er müsse Zeitpuffer einplanen, mehr Fahrer einstellen und intensiv mit den Kunden sprechen. Als kleine Spedition könne man sich den multimodalen Transport über die Schiene nicht leisten. Baumgartner winkte an der Stelle ab: „Auf der Schiene geht über den Brenner sowieso nichts mehr“, sagte er.
Moderator Michael Cordes wollte wissen, was aus der Forderung nach dem Ende des Tiroler LKW-Nachtfahrverbots geworden sei. Dettendorfer antwortete, das würde sofort helfen. Nur politisch sei das nicht durchzusetzen. Rebecca Kirschbaumer von der Wirtschaftskammer Tirol unterstrich das. Sie sagte: „Ja, wir fordern das, wissen aber, dass ein Politiker, der das in Tirol anpacken würde, erledigt wäre.“
Nächster Punkt: Ein Slotsystem für LKW-Fahrten, das Bayern, Tirol und Südtirol vorgeschlagen haben. Kirschbaumer äußerte sich skeptisch. Was im Hamburger Hafen funktioniere, lasse sich nicht einfach auf die Straße übertragen. Dettendorfer sagte, alles sei besser als das Willkürsystem Blockabfertigung. Das Ganze dürfe aber nicht zur „Monsterbürokratie“ ausarten. Der Knackpunkt: Wien, Rom und Berlin müssten dafür einen Staatsvertrag abschließen. Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat das auf IHK-Anfrage im Sommer abgelehnt.
Bleiben die Ausweichrouten über Slowenien und der Schweiz. „Besser einen Umweg fahren als sechs Stunden lang am Brenner im Stau stehen“, argumentierte Katja Stadler von der deutsch-slowenischen IHK. Sie räumte aber ein, dass zur Urlaubszeit im Sommer auch Sloweniens Straßen dicht seien. Dettendorfer hielt von der Option nichts. Zu weit im Osten.
Spannend wurde es bei der Alternative Schweiz. Hefti, der Mann von der Handelskammer, räumte mit dem Mythos auf, für Deutsche gebe es an der Grenze große Zollprobleme. „Sie können im LKW sitzen bleiben. Das geht alles elektronisch. In fünf Minuten ist alles erledigt.“ Arnold Berndt vom Schweizer Bundesamt für Verkehr, erklärte danach aber, dass es in seinem Land durchaus Hürden gibt für den Schwerkehr.
Berndt listete auf: Nachtfahrbot, Sonntagsfahrbot, Schwerkehrsabgabe, Streckensperrungen, Dosierungssysteme vor den Tunneln und das politische Ziel, die jährlichen LKW-Fahrten über die Alpen auf 650.00 zu begrenzen. Völlig anders, die Überraschung des Tages, sieht es bei der Schiene aus. Die Schweiz kann pro Tag 300 Güterzüge über die Alpen schicken. Nur die Hälfte dieser Slots wird genutzt. Berndt versicherte, auch mit Blick auf den Brenner biete man Spediteuren aus anderen Ländern Unterstützung an.
Korbinian Leitner, Verkehrsreferent der IHK München, fragte Berndt, was Deutschland von der Schweiz in Sachen Schienengüterverkehr lernen könne. Berndt wies auf zwei entscheidende Punkte hin: Erstens Bürgerentscheide für Schutz der Alpen, Begrenzung des LKW-Verkehrs und Bau der Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT) mit drei Basistunneln samt Zulaufstrecken. Dagegen hat es keine Klagen, Proteste und Einsprüche gegeben.
In der Schweiz, fuhr Berndt fort, werde zweitens nicht in jedem Jahr neu über den Verkehrshaushalt entschieden, sondern langfristig Geld in die Schiene investiert. Was hierzulande fehlt, machte Martin Ausserdorfer, Aufsichtsrat der Projektgesellschaft Brenner Basistunnel (BBT), auf dem Podium deutlich. Der Mann sprach mit Leidenschaft, der Mann hat eine Vision.
„In Südtirol ertrinken wir im Verkehr“, sagte Ausserdorfer. Deshalb treibe er den Tunnel voran. Dass sich die IHKs jetzt kümmern, fand er gut. Ausserdorfer räumte ein, man habe wegen Bürokratie und komplexer Ausschreibungen Zeit verloren. Aber nun gehe es beim Tunnel und den Zulaufstrecken in Südtirol voran. Er versicherte: 2032 steht das Ding.
Ausserdorfer träumt von einer europäischen Eisenbahn. Dereinst werde man dank Tunnel von München nach Verona in zweieinhalb Stunden mit dem Zug auf einen Cappuccino fahren. „Das ist eine Revolution“, schwärmte Ausserdorfer. Auf deutschem Boden lässt die auf sich warten. Matthias Neumaier von der DB InfraGo erklärte, was sich kaum verstehen lässt. Deutschland hat sich in drei Staatsverträgen mit Österreich und Italien zum Bau des Brenner-Nordzulaufs verpflichtet.
Nach elf Jahren „der Planung und des Dialogs“ befindet sich die Strecke nun in der „Vorplanung“. Der neue Bundestag wird 2025 über die „Vorschlagstrasse“ entscheiden. Ein Selbstläufer ist das nicht. Bernreiter hat Wissing auf einer IHK-Veranstaltung Desinteresse („hat sich hier noch nie blicken lassen“) vorgeworfen. Wissing sagte der dpa dagegen, er finde es „hochgradig unseriös“, wie die CSU mit milliardenschweren Nachforderungen die Planungen torpediere.
Dettendorfer meinte, es laufe darauf hinaus, dass der Nordzulauf erst 2050 oder 2060 stehe. Die Bestandsstrecke reiche für die kommenden Zuwächse im Güterverkehr niemals aus. Dettendorfer forderte, man müsse diesen „Wahnsinn“ beenden. Es habe 30 Jahre gebraucht, um in Augsburg ein Terminal zu errichten.
Er schlug vor, analog zum Sondervermögen Bundeswehr einen Investitionsfonds für den Verkehr einzurichten. „Das Geld für die Infrastruktur muss da sein“, forderte der Spediteur. Dazu gehöre eine Politik, nach der man sich richten kann. Es sei absurd, als Ziel die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene auszugeben – und danach die Trassenpreise zu erhöhen.
Im Feuerbachsaal wollte da niemand widersprechen. Konsens zwischen Referenten und Teilnehmern bestand zudem in der Einsicht: Tiroler Fahrverbote, die nicht für Tiroler LKWs gelten oder die deutsch-bayerische Selbstblockade beim Brenner - Europas Wirtschaft kommt so nicht voran. Die Schweiz hat vor gut 12 Jahren vergeblich versucht, die Alpenländer von einem gemeinsamen Konzept zu überzeugen. Die Zeit scheint reif für einen neuen Anlauf. Dafür war die BIHK-Konferenz ein guter Anfang.