Expertenrunde zu neuen EU-Regelungen für nachhaltige Produkte und Kreislaufwirtschaft

Die bayerischen Industrie- und Handelskammern veranstalteten zusammen mit der Wirtschaftskammer Österreich eine Expertenrunde zu den neuen EU-Regelungen für nachhaltige Produkte und Kreislaufwirtschaft. Der Austausch zwischen Vertreterinnen und Vertretern aus den EU-Institutionen und bayerischen und österreichischen Unternehmen fand am 24. September 2024 in der Bayerischen Vertretung in Brüssel statt.

Der Industrieplan zum „Green Deal“ soll das Erreichen der Klimaneutralität bis 2050 mit der Anwendung emissionsarmer Technologien, der Nutzung nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen und einem Übergang zu einer klimaneutralen und kreislauforientierten Wirtschaft unterstützen. Im Circular Economy Action Plan hat die EU einen legislativen Rahmen für eine nachhaltigere Produktpolitik geschaffen. Dabei spielen Nachhaltigkeitsgrundsätze eine wichtige Rolle. Um diesen Plan umzusetzen, werden neue und geänderte produktbezogene EU-Vorschriften erlassen.

Dr. Kathrin Kutlescha von der Europäischen Kommission, Generaldirektion Umwelt, stellte die am 18. Juli 2024 in Kraft getretene Ökodesign Verordnung für nachhaltige Produkte vor. Die neue Verordnung, die die bisherige Ökodesign-Richtlinie ersetzt, erweitert den bisherigen Fokus auf energieverbrauchsintensive Produkte wie Leuchtmittel, Kühlschränke oder Waschmaschinen auf fast alle Produkte, die innerhalb der EU vertrieben werden. Zu den ersten neuen Produktkategorien, die durch die Verordnung ökologische Mindeststandards erhalten sollen, gehören u.a. Textilien und Schuhe, Möbel, Metalle wie Eisen, Stahl und Aluminium sowie Reinigungsmittel und Chemikalien. Nur wenige Produkte wie etwa Fahrzeuge oder medizinische Produkte werden ausgenommen sein.  

Ziel sei es, nachhaltige Produkte zur Norm zu machen und zirkuläre Geschäftsmodelle zu unterstützen. Somit müssen Hersteller die gesamte Lebensdauer beachten zur Verlängerung der Lebensdauer, zur Reparierbarkeit und Nachrüstbarkeit sowie zur Ressourceneffizienz und zum Recycling. So soll ein Anreiz geschaffen werden, defekte oder beschädigte Produkte zu reparieren statt eine oftmals günstigere Neuware zu kaufen, weil die Reparatur kostspieliger ist oder vom Hersteller in der Produktkonzeption erschwert wird. 

Zudem stellt die Ökodesign Verordnung Vorgaben hinsichtlich des Rezyklatanteils und des Höchstgehalts an potenziell schädlichen Stoffen. Diese Produktinformationen sollen zukünftig in Form digitaler Produktpässe für alle relevanten Akteure einschließlich der Konsumenten zugänglich gemacht werden. Über einen kleinen NFC-Chip oder QR-Code soll jeder mit seinem Handy Informationen zu Herstellungsbedingungen, Ressourcenverbrauch oder Bedienungsanleitung abrufen können. Ergänzt wird dies durch die bestehende Energieverbrauchskennzeichnung, die in Zukunft um einen Reparierbarkeitsindex und ein Ökodesign-Label erweitert werden soll. Zusätzlich wird es ab dem 16. Juli 2026 verboten sein, gebrauchsfähige oder zurückgegebene Textilien oder Schuhe zu vernichten. Die EU will verhindern, dass unverkaufte Ware einfach geschreddert wird – eine Praxis, die in der Modeindustrie weit verbreitet ist.

Klar ist: Unternehmen stehen damit vor gigantischen Herausforderungen. Der Digitale Produktpass (DPP) mag eine gute Idee sein, aber praktisch befürchten viele Hersteller, dass sensible Informationen in falsche Hände geraten könnten. Die Konkurrenz könnte dadurch Einblicke in Rezepturen und Produktionsverfahren erhalten. Außerdem stellt sich die Frage, wie die Datenerfassung und -weitergabe entlang komplexer internationaler Lieferketten funktionieren soll. Viele Produkte bestehen aus zahlreichen Komponenten, die von unterschiedlichen Zulieferern kommen. Jeder dieser Partner müsste detaillierte Nachhaltigkeitsinformationen liefern.

Für Unternehmen wie dem Mammendorfer Institut für Physik und Medizin GmbH sorgt der „Verordnungsdschungel“ in der EU für ernsthafte Überlegungen hinsichtlich der Marktstrategie. Jennifer Rosenheimer ist dort General Manager und gleichzeitig im IHK-Ehrenamt für den Ausschuss Außenwirtschaft. Sie beklagt eine fehlende Planbarkeit, hohe Kosten und den bürokratischen Mehraufwand durch die schärferen und inkohärenten Regulierungen in Europa. Das seit 1982 bestehende Unternehmen beschäftigt mittlerweile 90 Mitarbeiter. Aufgrund der hohen technischen Dokumentationen seien ihre Entwickler eher mit dem Ausfüllen von Papieren beschäftigt statt mit der Produktentwicklung. Damit spricht sie u.a. die seit 2017 (EU 2017/745) geltende Medizinprodukte-Verordnung an, die die Medizinprodukte-Richtlinie ablöste. Bis zu zehn Audits pro Jahr verstärken die Belastung. Die Verordnungen der EU stelle eine Barriere für Unternehmen dar. Der Zugang zum amerikanischen Markt hingegen sei leichter. Eines ihrer medizinischen Produkte komme dort bereits ein Jahr früher auf den Markt. Warum? Die Eintrittsbarrieren seien seichter und die Informationsleistung und-findung bezüglich der nötigen Dokumente und Fristen zentrierter und nutzerfreundlicher. Ihre Botschaft an Dr. Kathrin Kutlescha (EU Kommission) war deshalb eindeutig: der DPP müsse einheitliche Standards innerhalb der EU haben, um grenzüberschreitend agierende Unternehmen nicht zusätzlich zu belasten.

Das dies ein Anliegen ist, dass mehrere europäische Unternehmen umtreibt, unterstrich Maitane Olabarria Uzquiano. Sie ist Generalsekretärin beim Small Business Standards (SMS), einer non-profit Organisation, die die Interessen von europäischen KMUs zum Thema Standardisierung unterstützt. Die Schwierigkeit dabei sei, die mangelnde Kohärenz der Produkte und den Überblick innerhalb der relevanten Verordnungen zu behalten.

Die neu gewählte Kommissionpräsidentin Ursula van der Leyen kündigte am 18. Juli 2024 im Zuge ihrer Wiederwahl eine Bürokratieentlastung als Teil ihres Programms für 2025-2029 an. Konkret heißt es dazu im Programm: „Jedes Kommissionsmitglied wird den Auftrag erhalten, sich auf Bürokratieabbau und einfachere Umsetzung zu konzentrieren: weniger Verwaltungsaufwand und Berichterstattung, mehr Vertrauen, bessere Durchsetzung, schnellere Genehmigungen.“ Der Auftrag gelte für alle 26 zukünftigen Kommissare. Auch künftige Verordnungen sollen nach einem Entlastungsprinzip vor allem KMUs und Start-Ups berücksichtigen.

Die Europäische Kommission habe den Weckruf der Unternehmen verstanden. Die Generaldirektion Umwelt habe beispielsweise eine Task Force mit der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU gegründet, um zukünftige Verordnungen von vornherein miteinander abzustimmen, statt erst nach der Fertigstellung des Gesetzesentwurfs in den sogenannten Inter-Service Konsultation innerhalb der Europäischen Kommission. Inwiefern dieses Vorhaben den administrativen Herausforderungen von Unternehmen mindern werden, bleibt abzuwarten.

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