Verkehrspolitischer Dialog der bayerischen IHKs in Nürnberg – 100 Teilnehmer, fachkundige Diskussionen und die Forderung nach einem „Jahrzehnt der Schiene“

„Es ist beschämend“ – Markus Lötzsch, Hauptgeschäftsführer der Nünberger IHK, versuchte erst gar nicht, irgendetwas zu beschönigen. Das Ergebnis jahrzehntelanger deutscher Verkehrspolitik sei ein Desaster. Seine Eröffnungsrede machte klar, wie notwendig diese Veranstaltung war. Die bayerischen IHKs hatten am 11. Juli in die Meistersingerhalle nach Nürnberg zum „Bayerischen Verkehrspolitischen Dialog“ geladen. Als Medienpartner fungierte das Magazin „Logistik Heute“. Die rund 100 Teilnehmer rekrutierten sich aus Unternehmern der einschlägigen Branchen sowie aus dem Haupt- und Ehrenamt der IHKs. In der Meistersingerhalle ballte sich der Sachverstand.

Lötzsch zeigte schon eingangs das Ausmaß der Misere auf. Er sagte, in Bayern brauche niemand mehr über den endlosen Flughafen-Bau in Berlin den Kopf schütteln. Auch Bayern habe jetzt seinen Bau-Skandal: Münchens 2. S-Bahn-Stammstrecke. Kommt frühestens 2037 und wird mit 7,2 Milliarden Euro gut doppelt so teuer wie geplant. Das Projekt ist unverzichtbar. Ohne den zweiten Tunnel wird es nichts mit Stadtentwicklung, Verkehrs- und Klimaschutzwende. „Was in München an Geld verbuddelt wird, fehlt dann woanders“, stellte der IHK-Chef fest. Lötzsch bot auf der Bühne so eine Art Presse-Schau schlechter Verkehrsnachrichten. Chaos an deutschen Flughäfen, das nun türkische Arbeitnehmer beheben sollen. Chaos in den Regionalzügen, weil das System seit dem Start des 9-Euro-Tickets überlastet ist. Auch so sieht deutsche Mobilität heute aus: defekte Toiletten, Aufzüge und Klimaanlagen, kranke Zugbegleiter.

In der Meistersingerhalle konnten die Teilnehmer live erleben, wie deutsche Verkehrspolitik Probleme löst. Der CSU-Landtagsabgeordnete Thorsten Schwab wies jede bayerische Verantwortung in Sachen 2. Stammstrecke weit von sich. Die Deutsche Bahn müsse das besser planen, der Bund sei klar in der Pflicht. Michael Theurer (FDP), parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, sah das, Überraschung, völlig anders. Die 2. Stammstrecke sei ein bayerisches Projekt. „Wir sind nicht verpflichtet, Geld zu geben“, so Theurer.

Das Land, befand Henning Mack, Präsident des Landesverbandes Bayerischer Spediteure (LBS), leide unter einem Mentalitätsproblem. Solange die Amazon-Bestellungen fristgerecht bei den Kunden ankämen, sehe niemand Handlungsbedarf. Alle hätten den Eindruck: „Es läuft.“ Heute spüren auch Normalbürger: Es läuft nicht mehr. Seit zwei Jahren sind die Lieferketten massiv gestört. Corona-Lockdowns in chinesischen Häfen, Unwetter in vielen Teilen der Welt, die Sanktionen gegen Russland, der blockierte Suezkanal – all das bewirkte nicht nur einen Kostensprung für die Seefracht. Kommen die Schiffe zu spät, bringt das alle folgenden logistischen Prozesse ins Wanken. Georg Dettendorfer, Spediteur und IHK-Vizepräsident, sprach von gerissenen Lieferketten. Baustellen würden die Krise verschärfen: Österreichs Autobahngesellschaft ASFINAG beginne 2025 mit der Sanierung der ersten Brücke Richtung Brenner. Die sei dann nur noch einspurig befahrbar, was viele zusätzliche Stau-Kilometer bedeute. 

Dettendorfer bot eine schonungslose Analyse. Bislang sei auch von der Ampel-Koalition keine Unterstützung zu spüren. Der Transitstreit mit Tirol sei „maximal verfahren“. Die Politik tue seit Jahren nichts gegen den Fahrermangel seiner Branche. Die Straße sei dicht. Die Spritpreise gingen durch die Decke. Man habe nur die Option, mehr Güter auf die Schiene zu bringen. An den Spediteuren scheitere das nicht. „Wir wollen, aber es funktionert nicht“, klagte Dettendorfer. Im Vergleich zum Lkw sei der Gütertransport auf der Schiene „massiv schlecht“. Er habe wenige Tage zuvor vergeblich versucht, fünf unbegleitete Lkws auf einen Güterzug Richtung Italien zu bringen. „Auf der Schiene haben wir eine Pünktlichkeitsquote von 37 Prozent. Das machen die Kunden nicht mit“, so Dettendorfer.

„Was würden Sie als Bundesverkehrsminister als erstes tun?“ Auf die Frage des Moderators Prof. Christoph Tripp sprachen sich die Teilnehmer der ersten Podiumsrunde ausschließlich für Schienenprojekte aus: den Brenner-Nordzulauf, den Ausbau der Rheintaltrasse zur Anbindung an die Schweizerische Neue Alpentransversale (NEAT) und ein attraktives Angebot der Rollenden Landstraße, um mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen. Bei all diesen Vorhaben hinkt Deutschland im Zeitplan Jahre hinterher. Schweizer Medien spotten, deutsche Verkehrspolitik bestehe aus „leeren Versprechen“. Die SPD-Landtagsabgeordnete Inge Aures erinnerte an weitere Blamagen. Zum Beispiel an den Staatsvertrag mit der tschechischen Republik. Das Ziel einer durchgehend elektrifizierten Bahnstrecke Nürnberg – Prag sei am deutschen Nichtstun gescheitert.

Oder die geplante Bahnstrecke München–Mühldorf–Freilassing, die sogenannte ABS 38. Auf die wartet die Chemieindustrie Südostbayerns seit Jahrzehnten. Dafür gab es ein fixes Ziel: zweigleisig und elektrifiziert bis 2030. Nun führt ausgerechnet ein Planungsbeschleunigungsgesetz zur weiteren Verzögerung um etwa fünf Jahre. Ziemlich irre das alles. Wie sich das in der Praxis anfühlt, schilderte Klaus Hohberger, Mitglied der Geschäftsleitung der Bayernhafen GmbH – ein besonders interessantes Unternehmen, weil es die drei Verkehrsträger Schiene, Schiff und Lkw miteinander verzahnt. „Wir sind ein Labor für den Güterverkehr. Wir wissen genau, was geht, und was nicht geht“, sagte Hohberger.

Was nicht geht, sind seinen Worten zufolge schnelle Genehmigungen. An was Hohberger nicht mehr glaubt, sind Zusagen der Politik. Bei jedem Bauvorhaben beginne ein Wettlauf der Behörden. Als Beispiel nannte er den Bau eines trimodalen Terminals in Regensburg, mit dem man Lkws, Schiffe oder Züge mit Containern bestücken könne. Das Problem: Das Vorhaben tangiert Baurecht, Wasserrecht, Straßenrecht, Planungsrecht, Eisenbahnrecht. Für jedes Rechtsgebiet ist eine andere Behörde verantwortlich. „Wir haben knapp zwei Jahre gebraucht, um die Zuständigkeiten zu klären“, berichtete Hohberger. Das soll nun alles besser werden. Diese Botschaft hatte Staatssekretär Theurer mit nach Nürnberg gebracht. Als Bundesbeauftragter für den Schienenverkehr hat der Mann keinen leichten Job. Aber Theurer schlug sich in Nürnberg achtbar.

Er machte klar, dass die Ampel-Koalition nun den Scherbenhaufen aufkehren muss, den die Ex-Verkehrsminister Ramsauer, Dobrindt und Scheurer hinterlassen haben. Die Kritik Dettendorfers griff der FDP-Mann Theurer sofort auf: „Sie sprechen mir aus dem Herzen.“ Was Dettendorfer beklage, seien Folgen jahrzehntelanger Unterfinanzierung des Systems. Ludwig Hartmann, Chef der grünen Landtagsfraktion, sagte, man habe die Bahn „kaputt gespart“. Die Bundesregierung, versicherte Theurer, arbeite an der Wende. Der schon von der großen Koalition beschlossene „Schienenpakt“ zwischen Politik und Wirtschaft soll endlich umgesetzt werden. Das heißt: Vorfahrt hat jetzt der Bahnverkehr. Der Anteil des Güterverkehrs soll bis 2030 auf 25 Prozent steigen. Anders, betonte Theurer, seien die Klimaschutzziele nicht zu erreichen. Ein großer Schritt dazu: Die Bundesregierung will die Planungzeiten halbieren. 20 Jahre für eine neue Bundesstraße, 30 Jahre für eine Schienentrasse – das ist untragbar, da waren sich in der Meistersingerhalle alle einig. Folglich ist das deutsche Schienennetz zwischen 2016 und 2021 lediglich nur um etwas mehr als 40 Kilometer gewachsen.

Manfred Eibl, Mitglied des bayerischen Landtags und verkehrspolitischer Sprecher der Freien Wähler, kritisierte das Schneckentempo bei der Streckenelektrifizierung. Nur 61 Prozent der rund 33.290 Kilometer Schiene seien elektrifiziert. Pro Jahr kämen ganze 65 Kilometer hinzu. Auch bei der Digitalisierung hinkt die Schiene hinterher. Theurer berichtete, es gebe noch 250 rein mechanische Stellwerke und 500, die über Relais gesteuert würden. Wie viel Verbesserungspotenzial es hier gibt, zeigte das Fachforum „Digitalsierung – eine Revolution in der Verkehrssteuerung“. Theurer sprach auf dem Podium „von mehr Effizienz im System“. Mit Digitalisierung sei ein Leistungssprung der Bahn von 30 bis 35 Prozent möglich. Und das relativ schnell. Fachredakteurin Sandra Lehmann betonte ebenfalls postitive Entwicklungen. Sigrid Nikutta habe seit Anfang 2020 als neue Verantwortliche für den Güterverkehr der Bahn schon viel bewegt. Das öffentliche Interesse für die Logistik-Branche sei noch nie so groß gewesen wie in den jüngsten Pandemie-Jahren.

BIHK-Hauptgeschäftsführer Manfred Gößl schlug pragmatische Lösungen für den Fachkräftemangel vor. Die theoretische Prüfung für die Berufskraftfahrerqualifikation müsse zukünftig wie der LKW-Führerschein mehrsprachig und im Multiple-Choice-Modus angeboten werden. Auch die Ausbildung zum Busfahrer müsse einfacher werden. In Deutschland seien 58 Unterrichtseinheiten Pflicht, in Österreich genügten 8! „Das sollten auch wir hinkriegen“, meinte Gößl. Die Diskussion machte aber auch eine Sorge der Unternehmer deutlich: dass die guten Ziele letztlich wieder am fehlenden Geld scheitern. Clemens Bochynek von der Studiengesellschaft für den Kombinierten Verkehr beklagte, mit der von der Ampel erzeugten Aufbruchsstimmung sei es schon wieder vorbei: „Das, was die Bundesregierung vorhat, gibt der Haushalt nicht her.“

Theurer selbst rechnete vor, welche Summen die Verkehrswende braucht. Alleine der Ausbau für den Bahnabschnitt Karlsruhe – Basel koste 7 Milliarden Euro. Für die Strecke Ostermünchen – Kiefersfelden sind weitere 6 Milliarden fällig. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die Baukosten rapide steigen und die Zinsen wieder anziehen. Ludwig Hartmann forderte, nach vielen verpassten Niedrigzins-Jahren müsse nun ein „Jahrzehnt der Schiene“ folgen. Mehrere Teilnehmer schlugen vor, analog zum Sondervermögen Bundeswehr ein Sondervermögen Schiene bereit zu stellen. Theurer wollte da nicht widersprechen. Und schließlich warb der Schienenbeauftragte für einen Schuss Optimismus. Er fahre nach der Veranstaltung mit dem ICE nach Berlin. In 3:10 Stunden. Der ICE habe den Flugverkehr rund um Nürnberg so gut wie überflüssig gemacht: Das sei doch eine echte Erfolgsstory.

Martin Armbruster

„Noch schlimmer als befürchtet“

Verkehrsstaatssekretär Michael Theurer (FDP) über marode Infrastruktur, Zukunft der Schiene und das, was die Bundesregierung im Verkehr besser machen will

Beauftrager der Bundesregierung für den Schienenverkehr – für den Job braucht man Frusttoleranz und Stehvermögen. Der Parlamentarische Verkehrsstaatssekretär Michael Theurer (FDP) verfügt offenbar über diese Eigengschaften. Theurer war am 11. Juli stellvertretend für seinen Bundesminister Volker Wissing (FDP) als „Impulsredner“ für den „Bayerischen Verkehrspolitischen Dialog“ in Nürnberg eingesprungen.

Kurz vor seiner Rede nahm sich Theurer noch die Zeit für ein Interview mit IHK-Redakteur Martin Armbruster.

Herr Theurer, was hat die Ampel-Koalition vor, um den Zustand auf unseren Straßen zu verbessern?
Wir wussten ja alle, dass das System nicht gut aufgestellt ist. Der tatsächliche Zustand ist aber noch schlimmer, als wir befürchtet hatten. Da stehen wir vor einer Herkules-Aufgabe. Wir wollen nach vorne schauen und zielgerichtet effektive Maßnahmen einleiten und diese zügig und bürgerfreundlich umsetzen, damit unsere Verkehrsinfrastruktur modern und zukunftssicher bleibt.

Welche Folgen hat das für die Wirtschaft?
Wir haben das Beispiel der Talbrücke Rahmede auf der A45. Die Brücke ist einsturzgefährdet. Tausende Pkw und Laster müssen deshalb umgeleitet werden. Sie können sich vorstellen, was das für die betroffenen Gemeinden bedeutet. Für die regionale Wirtschaft und die Bürger vor Ort ist das eine Katastrophe. Die wichtigen Industriezentren des östlichen Ruhrgebiets und des Rhein-Main-Gebiets sind betroffen. Erste Betriebe denken über eine Standortverlagerung nach.

Wie wollen Sie den Sanierungsstau auflösen?
Dafür brauchen wir natürlich die entsprechenden finanziellen Mittel. Wir haben heute aber das Problem, dass Geld zum Teil gar nicht verbaut werden kann. Die Bauwirtschaft hat nicht genug Kapazitäten, es fehlen Planer, wir brauchen generell eine Planungsbeschleunigung.

Könnten die heutigen Krisen das Verkehrspoblem nicht entschärfen, weil weniger transportiert wird?
Mit Beginn der Corona-Pandemie gab es da einen kurzfristigen Effekt, am generellen Trend hat das aber nichts geändert. Wir haben die Prognose des Bundesverkehrswegeplanes, wonach bis Mitte der 30er Jahre der Güterverkehr um 36 Prozent zunehmen wird. Wenn man sich die Verhältnisse heute anschaut, stellt sich natürlich die große Frage, wie dieser Güterverkehr überhaupt noch abgewickelt werden kann.

Wie sähe denn eine mögliche Lösung aus?
Das kann nur funktionieren, wenn wir mehr Güter auf die Schiene verlagern. Wir brauchen mehr Investitionen in die Schiene, auch da gibt es leider einen hohen Investitionsrückstand. Und wir brauchen auf der Straße eine entsprechende Kapazität, wobei da in den nächsten Jahren der Schwerpunkt auf Erhalt und Sanierung liegen muss.

Welchen Einfluss haben die Klimaschutzziele von Bund und EU auf den Güterverkehr?
Wir müssen die Transformation des Güterverkehrs in die Klimaneutralität schaffen. Da geht es um die richtigen Antriebe. Beim PKW geht es klar in Richtung E-Mobilität. Die Batterie stößt beim Schwervekehr an ihre Grenzen, also brauchen wir dafür andere Antriebe. Es geht um Wasserstoff, Brennstoffzellen, aber auch synthetische Kraftstoffe. Dafür setzt sich die FDP in dieser Koalition massiv ein. Wir konnten erreichen, dass Deutschland hier auf EU-Ebene im Ministerrat entsprechend tätig geworden ist. Auch das ist ein Schritt, um in Europa eine funktionierende Güterverkehrsmobilität zu erreichen.

Investieren auch die Unternehmen in diese neuen Antriebe?
Wir nehmen wahr, dass die Unternehmen von sich aus große Anstrengungen unternehmen, um den Gütertransport klimafreundlicher zu organisieren. Die Firmen verfolgen dabei sehr unterschiedliche Innovationskonzepte. Dass die Gaspreise heute durch die Decke gehen, hat leider einige Speditionen in Schwierigkeiten gebracht, die auf den Gas-Lkw gesetzt hatten. Wir versuchen da, nach Kräften zu helfen.

„Leere Versprechen, leere Antworten“ – so beschreiben Schweizer Medien die deutsche Verkehrspolitik. Was tun Sie, um wieder Vertrauen aufzubauen?
Wir gehen das jetzt richtig an. Die Ampel-Koalition hat das Ziel, die Planungs- und Genehmigungsverfahren auf die Hälfte zu verkürzen. Es gibt ein Highlevel-Group im Bundeskanzleramt, die abklopft, welche gesetzlichen Veränderungen dafür vorgenommen werden können. Das Bundesministerium für Verkehr und Digitales hat eine Beschleunigungskommission Schiene eingesetzt, die sich darauf konzentriert, Maßnahmen die schon auf dem Tisch liegen, in den nächsten zwei bis fünf Jahren auch umzusetzen.

So richtig scheint das die Unternehmer nicht zu überzeugen. Auch heute morgen wurde auf dieser Veranstaltung das massiv kritisiert: Brenner-Nordzulauf nicht vor 2040, Münchner Stammstrecke erst 2037, die Alpentransversale Neat hat nicht ihre volle Wirkung, weil die Zulaufstrecke auf der deutschen Seite über das Rheintal fehlt.
Ja, Sie haben jetzt Investitionen in die großen Verkehrskorridore angesprochen, die in Europa die höchst belasteten Korridore sind. Da geht es um Neubaumaßnahmen wie den Brenner-Nordzulauf. Und in der Tat laufen dieses Planungsprozesse noch sehr schleppend. Zugleich fehlen für den Bau die nötigen Investitionsmittel. Wir werden die Investitionsmittel sukzessive erhöhen von zwei auf drei Milliarden Euro pro Jahr bis Ende des Jahrzehnts.

Wann wird das eine erste Wirkung haben?
Wir gehen heute davon aus, dass die Bauabschnitte, die wie die Rheintalbahn schon planfestgestellt sind, jetzt auch in die Realisierung gehen können.

Aber auch der Bau wird Jahre brauchen. Die Unternehmer fordern schnelle Lösungen.
Deshalb müssen wir auch innerhalb des bestehenden Systems die Kapazitäten erhöhen. Gerade auf der Schiene gibt es viel Optimierungsspotenzial: mit Wechselgleisen, Überholgleisen, Baustellen-Management, digitalem Kapazitätsmanagement und digitaler Taktsteuerung des Zugverkehrs.

Bis 2030 soll in Deutschland der Anteil des Schienengüterverkehrs von 18 auf 25 Prozent steigen. In Österreich liegt der Wert schon heute bei 30 Prozent. Wäre angesichts der Lage auf unseren Straßen nicht mehr Ehrgeiz angebracht?
Also man muss schon sehen, wo wir heute stehen – und dann sind diese 25 Prozent ein sehr, sehr ambitioniertes Ziel. Wir wollen das aber ebenso erreichen wie die Klimaschutzziele. Und klar, der Schiene kommt da eine zentrale Bedeutung zu.

Wird das Ganze von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wirklich finanziert?
Wir haben uns das im Koalitionsvertrag fest vorgenommen. Das Geld muss vom Bundesgesetzgeber zur Verfügung gestellt werden. Wir sehen heute natürlich mit großer Sorge, wie der Krieg in der Ukraine die gesamten wirtschaftlichen Rahmendaten verändert hat: Wir haben Inflation, Energieknappheit und Preissteigerungen. Die zentralen Notenbanken sehen sich gezwungen, die Zinsen anzuheben. Das macht es sicher nicht einfacher, in die Zukunft unserer Mobilität zu investieren.

Das klingt nach einer guten Ausrede, sollte sich in der Verkehrspolitik weiter nichts bewegen.
Man muss an der Stelle schon mal einen Blick darauf werfen, wer zuvor 12 Jahre lang das Bundesverkehrsministerium geführt hat. Drei CSU-Minister hätten in diesen 12 Jahren der Null- und Niedrigzinspolitik beste Investitionschancen gehabt. Niemand kann von uns erwarten, das alles über Nacht nachzuholen, was man da versäumt hat – zumal wir jetzt steigende Zinsen und eine sich abzeichende Wirtschaftskrise haben.

Werten Sie das 9-Euro-Ticket als Beleg dafür, dass man Mobilität auch ohne Auto sichern kann?
Es zeigt jedenfalls, dass konkurrenzlos günstige Fahrpreise wirken und mehr Menschen auf die Schiene bringen. Diese Preissingnale wollen wir evaluieren. Wir werden mit den Ländern, die für den Nahverkehr zuständig sind, überlegen, wie in Zukunft der Nahverkehr so attraktiv gestaltet werden kann, dass mehr Fahrgäste dauerhaft auf den Zug umsteigen.

Das 9-Euro-Ticket hat es geschafft, sogar Bahn-Muffel zu begeistern.
Ja, diese Begeisterung hat sich niedergeschlagen in mehr als 21 Millionen verkauften Tickets, die zu den rund 10 Millionen Abo-Kunden neu hinzukommen. Die Beförderungszahlen haben wieder den Stand der Vor-Corona-Zeit erreicht. Das zeigt: Es ist möglich, mehr Menschen auf die Schiene zu bringen. Allerdings lautet jetzt Frage, ob die Länder bereit sind, solche Modelle mitzufinanzieren.

Zur Person:
Michael Theurer ist Diplom-Volkswirt, Bundestagsabgeordneter, Beauftragter der Bundesregierung für den Schienenverkehr und Parlamentarischer Staatsekretär für Digitales und Verkehr.

Der Bayerische Verkehrspolitische Dialog "Wir bewegen Bayern" fand am Montag, den 11. Juli 2022 von 10:00 Uhr bis 15:30 Uhr in Nürnberg statt.

Programm "Bayerischer Verkehrspolitischer Dialog"

                          

                    

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