„Nehmen wir die Angst aus ‎dem Gefrierfach“‎

BIHK-Präsident Eberhard Sasse über den Neustart der Wirtschaft, das Prinzip Zuversicht und die Chance, wieder Weltspitze in Zukunftstechnologien zu werden.

BIHK-Präsident Eberhard Sasse über den Neustart der Wirtschaft, das Prinzip Zuversicht und die Chance, wieder Weltspitze in Zukunftstechnologien zu werden

Herr Sasse, seit Wochenbeginn dürfen Bayerns Biergärten wieder öffnen. Spüren Sie nach den Wochen des Lockdowns Erleichterung?

„Panta rhei“ sagen die alten Griechen, „alles fließt“. Ausgehend vom frisch gezapften bayerischen Grundnahrungsmittel darf man wirklich hoffen, dass nunmehr auch anderes wieder in Fluss gerät. Man hatte tatsächlich das Gefühl, als sei für lange Zeit die Pause-Taste für die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben gedrückt worden. Jetzt geht es zum Glück wieder los. Das Umschalten von „Stand-by“ auf „Play“ in der Wirtschaft ist aber kein Selbstläufer. Um ein Bild aus der oberbayerischen Geschichte zu nehmen: Jetzt braucht es mutige Flößer und geschickte Schleusenwärter, die für ordentlich Wasser sorgen.

Welche Maßnahmen halten Sie für nötig?

IHK und ifo-Institut haben das gut analysiert. Wir brauchen ein Belastungsmoratorium. Wir müssen Dinge, die Unternehmen bremsen, aus dem Weg räumen. Das kostet fast nichts, das muss man politisch nur wollen. Ein Beispiel ist die Befristung von Arbeitsverträgen. Da hat der Gesetzgeber vor Corona Änderungen auf den Weg gebracht, die das erschweren. Wollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam in Bewegung kommen, braucht es aber Erleichterungen.

Die Regierung wollte doch mit der Einschränkung der Befristung Beschäftigung fördern.

Ja, aber die Ausgangslage hat sich verändert. Derzeit erhöhen Spielräume bei der Befristung die Einstellungschancen. So ist es auch in anderen Bereichen. Ich denke an unseren Handel. Bon-Pflicht und elektronische Kassen - das ist gut gemeint, wirkt aber in der Praxis kontraproduktiv. Auch die Pläne für Sustainable Finance als zusätzliche Kreditprüfung unter Nachhaltigkeitsaspekten dürfen nicht zu einer Kreditklemme führen.

Was halten Sie von den aktuellen Forderungen nach einer Vermögensteuer oder Reichensteuer?

Schon diese Debatte ist schädlich. Höhere Steuern würden den Wirtschaftsmotor abwürgen, bevor er richtig anspringen kann. Das Gegenteil ist der Fall. Der Bedarf an Spielraum für den Re-Start schreit geradezu nach einer Steuerentlastung. Wir müssen runter auf ein Niveau von nicht mehr als 25 Prozent inklusive Gewerbesteuer auf Gewinne, die im Unternehmen bleiben. Momentan liegen wir bei 33 Prozent. Das ist im internationalen Vergleich einfach zu viel. Auch eine bessere Verlustverrechnung würde den Firmen helfen. Wir wollen den Verlustrücktrag in die letzten drei Jahren ermöglichen

Helfen würden der Industrie auch niedrigere Strompreise.  

An Korrekturen beim Ausgestalten der Energiewende kommen wir nicht herum. Alle bisherigen Maßnahmen beruhen auf Annahmen einer Normalität, die es so nicht mehr gibt. Berlin hat in der Krise sehr schnell und mutig gehandelt. Dafür meinen Respekt. Wie ja auch die Energiewende von einer Katastrophe angestoßen wurde, Stichwort: Fukushima, ist es jetzt Zeit für eine Anpassung des Kurses. Da darf der mutige Regierungsstil auch auf die Energiepolitik abfärben. Klar ist: Die Energiekosten müssen sinken, die EEG-Umlage muss deutlich runter.

Das größte Problem ist doch die fehlende Nachfrage. Das Konsumklima war noch nie so schlecht.

Da haben Sie Recht. Unsere Kultur antwortet auf Krisen nach wie vor mit Vorsicht und Vorratswirtschaft. Der Konsum ist im Tiefkühlfach gelandet. Er muss jetzt wieder hervorgeholt und aufgetaut werden.

Was könnte man dafür tun?

Sie haben die Öffnung der Biergärten angesprochen. Das erzeugt einen wichtigen, psychologischen Effekt. Er hilft, die Starre zu lösen. Man kann sich mit seinen Freunden wieder treffen, auch wenn dafür Auflagen gelten. Es tut der Psyche gut, wenn Sommerurlaub nicht nur am örtlichen Badeweiher, sondern auch wieder am Chiemsee oder gar an der Nord- und Ostsee möglich ist.

Trotz der Lockerungen ist aber keine Aufbruchsstimmung zu spüren.

Wir müssen die Angst überwinden. Da spielt der Fußball eine wichtige Rolle. Markus Söder hat das schön gesagt: Fußball ist Teil der Freude. Er verbindet alle Milieus unserer Gesellschaft. Dass wieder Bundesliga ist, hebt die Stimmung. Zuversicht lässt sich nicht verordnen. Aber es gab jetzt Dinge, die sie fördern. Wenn der Ball rollt, kommen auch die Menschen wieder in Bewegung.

Haben Sie in den vergangenen Wochen auch Positives erlebt?

Ja, in meinem Unternehmen haben mich Mitarbeiter der Generation Y überrascht. Denen wird ein Streben nach ausgeprägter Work-Life-Balance nachgesagt. In der Krise haben aber genau sie den Schalter schnell umgelegt und gefragt: Was können wir tun, damit wir den Betrieb durch die Krise bringen? Die haben sich über 100 Prozent engagiert, die sind die Extra-Meile gegangen. Das hat mich sehr beeindruckt.  

Hat die Krise der Digitalisierung auch im Mittelstand zum Durchbruch verholfen?

Vor Corona gab es noch Vorbehalte, diese Schau-Ma-Mal-Haltung. Die Hoffnung, das werde sich schon alles fügen, wenn man sich genügend Zeit lasse. Dann aber ging alles rasend schnell: Telefon-Konferenzen, Microsoft Teams und so weiter von Null auf gleich. Die Leiterin unserer Ausbildungsabteilung bot Videokonferenzen an. Wir hatten Hunderte von Anmeldungen. Das finde ich ganz erstaunlich. Das müssen wir nun mit aller Kraft anschieben. Dazu brauchen wir aber die Generation Z – die digital natives- in der Belegschaft. Die spielt in deutschen Betrieben bislang nur eine Nebenrolle, ist aber der perfekte Beschleuniger und Impulsgeber: Von allen derzeit Aktiven im Arbeitsleben werden sie die meiste Zeit damit leben müssen, wie wir jetzt die Folgen der Krise meistern. Warum also nicht diese Generation gleich in die Verantwortung mit hinein nehmen?

Welche Corona-Folge hat Sie überrascht?

Der Einfluss auf die Mobilität. Vor Corona haben wir über verstopfte Straßen, überlasteten ÖPNV und Luftschadstoffe diskutiert. Das Arbeiten zuhause hat viele Probleme entschärft. Das ist eine positive Erfahrung. Als Konsequenz müssen wir jede Form öffentlichen Massenverkehrs – von der U-Bahn über den ICE bis zum Flugzeug - sicher und attraktiv gestalten. Im Moment gibt es Vorbehalte: Die Menschen befürchten Infektionsrisiken. Dabei verfügen gerade die Verkehrsanbieter mit der Facility Management-Branche über einen systemrelevanten Partner, der beherrscht, was es braucht, um ein Höchstmaß an Hygiene herzustellen. Und dessen Techniker dafür sorgen, dass zum Beispiel Klimaanlagen die Luft nicht nur frisch, sondern auch sauber halten. Diese Qualitäten sollten Passagieren die Zuversicht geben, dass sie gern wieder einsteigen.

Die Krisenhilfen haben auch Schattenseiten. Regelt der Staat nicht zu viel?

In so einer Krise muss der Staat reagieren. Was viele übersehen: Er tut das mit den Mitteln, die wir zuvor bezahlt haben. Bei Bürgschaften fließt kein Geld, da wird eben gebürgt. Und für die Darlehen, die größten Teil der Rettungsschirme ausmachen, haftet der Unternehmer zu 100 Prozent. Der Staat hat das alles gemacht, das war gut. Jetzt aber wird es kritisch.

Was befürchten Sie?

Wir müssen uns vor einer schleichenden Mutation zum Staatskapitalismus hüten. Dieses Risiko entsteht, wenn der Staat sich an Unternehmen beteiligt. Das führt schnell zu politischen Einschränkungen des unternehmerischen Spielraums. Mitunter wirken da Interessen, die inhaltlich und terminlich im Gegensatz zu langfristigen und nachhaltigen Unternehmensstrategien stehen. Dafür gibt in der Vergangenheit zu viele Beispiele des Scheiterns.

Wann werden unsere Exporte wieder in Schwung kommen?

Da stehen wir auch vor einem grundsätzlichen Problem. Deutschland hatte sich schon seit langem als Exportweltmeister profiliert – dabei aber auf Produkte des späten 19. und des 20. Jahrhunderts aufgebaut. Die exportstarken Güter der Gegenwart liefern andere. Denken Sie an Software, IT-Plattformen, Smartphones. Die Frage ist doch: Wie gewinnen wir da Anschluss?

Vielleicht mit nachhaltigen Geschäftsmodellen, Klimaschutz und regenerative Energien.

Guter Punkt. Versuche, mit Google, Apple oder Microsoft zu konkurrieren, sind sinnlos. Der Zug ist abgefahren. Oberste Priorität hat momentan, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Wenn wir da über den Berg sind, müssen wir über die Wechselbeziehung Wirtschaft und Klimaschutz nachdenken.

Welche Beziehung sehen Sie da?

Wenn wir den Klimawandel jetzt vollkommen vernachlässigen, steuern wir auf eine globale Krise zu, die alles Vorstellbare sprengt. Dagegen ist das, was wir gerade mit Corona erleben, eine Marginalie. Für wirksamen Klimaschutz brauchen wir sehr viel Geld. Diese Investitionen kann nur eine funktionierende Wirtschaft stemmen.

Was schlagen Sie vor?

Die Chance „Klimaschutz“ konsequent nutzen. Dafür müssen wir Produkte und Dienstleistungen entwickeln, die uns an die Weltspitze bringen. Das geht aber nicht ohne eine Kultur der Selbstständigkeit. Die müssen wir jetzt beleben.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Ich habe neulich eine Studie über die Generation Z gelesen. Spannend war für mich die Frage, ob diese jungen Menschen Firmen gründen wollen. 54 Staaten sind untersucht worden. Deutschland kam beim Gründer-Spirit nur auf Platz 37. Das ist enttäuschend für eine Wirtschaftsmacht wie Deutschland. Wir sind die viertgrößte Industrienation der Welt.

Wie könnten wir das ändern?

An deutschen Schulen und Universitäten wird Entrepreneurship noch zu wenig gefördert. Wie gründe ich ein Unternehmen? Das Thema sollte Bestandteil aller Lehrpläne sein. Da müssen wir ganz schnell etwas tun.

Wenn wir in unsere Nachbarländer schauen - sehen Sie da auch Anlass zur Zuversicht?

Ich habe auch da den Eindruck, dass wir uns auf einem sehr guten Weg befinden. Alle nationalen und internationalen Akteure arbeiten daran, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Das sehen wir in der Industrie, die Lieferketten bilden sich neu. Die Welt nach Corona wird aber keine Komfortzone sein. Die nächsten Jahre werden sehr ernüchternd sein.

Das Interview führte IHK-Redakteur Martin Armbruster.

Zur Person:

Eberhard Sasse ist Präsident des BIHK und der IHK für München und Oberbayern. Sasse ist Gründer und Vorstandsvorsitzender der Dr. Sasse AG, einem Komplettanbieter im Facility Management. Die Gruppe hat rund 6.800 Mitarbeiter und hat einen Gruppenumsatz von 250 Mio. Euro.

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