Es geht auch ganz ohne Bürokratie

DIHK-Präsident Peter Adrian über Energiekrise, Fachkräfte, Pragmatismus und den wichtigsten Tipp, den er für den Kanzler hat.

Sein Name ist inzwischen in der Wirtschaft ein Begriff: Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Adrian wird regelmäßig in den Medien zitiert, er ist dabei, wenn sich in Berlin die Spitzen von Politik und Wirtschaft treffen, und er ist Stammgast der Wirtschaftsdelegationen, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei Auslandsbesuchen begleiten. Als Unternehmer ist Adrian auch in Oberbayern aktiv. Er war Gastgeber der BIHK-Vollversammlung am 16. Mai im EDMO-Conference Center des Sonderflughafens Oberpfaffenhofen. Nach seinem einführenden Vortrag und einer anschließenden Diskussion mit den Präsidentinnen und Präsidenten sowie Hauptgeschäftsführern der bayerischen IHKs stellte sich Adrian den Fragen von IHK-Redakteur Martin Armbruster.

Herr Adrian, Sie haben vorhin auf der Sitzung gesagt: Wenn ein Preuße gutes Geschäft machen wolle, müsse er nach Bayern kommen. Was läuft in Bayern besser als im Rest?
Wenn ich hier in Oberpfaffenhofen oder in Starnberg zum Landrat gehe und sage, wir planen ein Bauvorhaben für die Uni München, wir brauchen dafür eine Genehmigung, dann sagt mir der Landrat: Ich kümmere mich darum. Das funktioniert dann auch. Was man hier in Bayern spürt: Die Behörden arbeiten lösungsorientiert. Wir reden viel über Bürokratieabbau. Ein großer Schritt dafür ist schon, wenn sie in den Behörden einen festen und lösungsorientierten Ansprechpartner haben. Das ist schon die halbe Miete.

"In dem Punkt ist Bayern einfach besser"

Könnte doch sein, dass Sie einfach Glück hatten mit ihren Landräten.
Vielleicht - aber nach meiner persönlichen unternehmerischen Erfahrung ist Bayern in diesem Punkt im Schnitt besser. Anderes Beispiel: Ich habe hier ständigen Kontakt zur Luftfahrtbehörde, das ist die Regierung von Oberbayern in München. Wenn wir da einen Antrag stellen, sind die in der Regel in der Lage, binnen 24 Stunden eine schriftliche Genehmigung per E-Mail zuzuschicken. Die Verwaltung arbeitet in Bayern tatsächlich häufig so, wie man sich das als Unternehmer wünscht: pragmatisch, schnell und lösungsorientiert.

Ich fand erstaunlich, wie scharf die Präsidenten der IHKs die Bundesregierung kritisiert haben. Was läuft denn da schief in Berlin?
Ich würde jetzt nicht sagen, dass da alles schiefläuft. Was wir aber aktuell häufig vermissen ist eine pragmatische Grundhaltung, mit der sich Ziele oft besser erreichen lassen als mit einem scheinbar perfekten Regelungsplan.

Was verstehen Sie unter Pragmatismus?
Dieser Begriff steht für das Prinzip trial and error. Ich halte ihn deshalb für so wichtig, weil er auch unser Leben ausmacht. Wir haben ein Problem. Dann suchen wir eine Lösung dafür. Wenn die nicht passt, korrigieren wir unseren Ansatz. Wir probieren etwas Neues aus. Das ist das Gegenteil zu einer starren ideologischen Vorgehensweise, die sich den Weg nach einer vielleicht besseren Alternative oft selbst verbaut.

Pragmatisch oder ideologisch - ist es letztlich nicht egal, wie man ein Problem in den Griff bekommt?
Wer ideologisch denkt und argumentiert, für den gibt es meist nur eine richtige Lösung. Eine ideologische Vorgehensweise erlaubt kaum Korrekturmöglichkeiten, sie kann sich nur schwer anpassen an veränderte Realitäten und andere Sichtweisen. Ideologie ist aus meiner Sicht daher wenig geeignet, unsere Probleme zu lösen.

"Ich habe das Gefühl, dass Habeck wirklich zuhört"

Hört man Ihnen in Berlin zu? Sucht die Bundesregierung den Kontakt zur Wirtschaft?
Ja, das kann man schon sagen. Auch bei Gesprächen mit Bundeswirtschaftsminister Habeck habe ich das Gefühl, dass er wirklich zuhört. Und er ist auch ein guter Gesprächspartner.

Dazu gehört sicher auch die Einschätzung der konjunkturellen Lage. Noch geht man davon aus, die Wirtschaft läuft ganz gut. 
Die deutsche Wirtschaft ist zu Jahresbeginn in eine Rezession geschlittert. Anzeichen für einen breiten Aufschwung gibt es leider keine. Immerhin war der Einbruch weit weniger dramatisch als noch im letzten Jahr befürchtet. Im Herbst hatten wir die Angst, dass es zu Engpässen in der Energieversorgung, vor allem zu einer Gasmangellage kommen kann. Das konnten wir zum Glück vermeiden.

Weil das Berliner Krisenmanagement doch geholfen hat.
Dazu hat die Bundesregierung ihren Beitrag geleistet. Aber auch die Unternehmen haben ihren Job gemacht. Wenn Sie beispielsweise auf diesen Standort hier schauen: Wir haben hier 2022 eine Million Euro investiert, um den Fuel-Switch zu vollziehen. Wir haben die Anlage so umgebaut, dass wir sie wieder mit Mineralöl betreiben können. Das haben viele Unternehmen so gemacht. Teile der Industrie haben aus Kostengründen auch die Produktion drosseln müssen. So konnten wir die Gasmangellage vermeiden.

Sind wir jetzt beim Gas aus dem Gröbsten raus?
Zur Wahrheit gehört: Wir hatten einfach auch Glück mit dem milden Winter. Die Mehrheit der europäischen Netz- und Speicherbetreiber warnt: Es kann in Europa noch zu einer Mangellage kommen, wenn wir Ende des Jahres einen strengen Winter bekommen - und wenn auch Österreich und Ungarn kein russisches Gas mehr bekommen.

"Wir haben keine Lösung für die nächsten Jahre"

Wie beurteilen Sie die Lage unserer Energiewende?
Jeder, der sich unseren Mix bei der Stromerzeugung anschaut, erkennt sofort: Wir haben unsere Probleme noch nicht gelöst. Etwa ein Drittel des Stroms kommt aus Kohlekraftwerken, knapp 15 Prozent stammen aus Gaskraftwerken. Wir haben die Kernkraftwerke abgeschaltet, mit denen hätten wir die Gaskraftwerke für eine Übergangszeit zumindest teilweise ersetzen können. Wir haben in Zukunft einen enormen Bedarf an weiteren Gaskraftwerken, weil wir weg von der Kohle wollen und zugleich die Grundlast absichern müssen. Woher soll das Gas kommen? Und wer investiert überhaupt in Gaskraftwerke, wenn sie doch nur die Lücken der Erneuerbaren schließen sollen? Wir haben noch keine verlässliche Lösung für die nächsten Jahre.

Was ist dran an der Warnung, die Industrie verlagere Produktion ins Ausland?
Ich habe das vorhin auf der Sitzung ja schon gesagt: Die Ausrüstungsinvestitionen unserer Unternehmen im Inland liegen deutlich unter dem Stand der Vor-Corona-Zeit. Die Unternehmen schauen sich sehr genau an, wo sie in Zukunft investieren wollen. Wo sind die wichtigen Märkte, wo sind die besten Standortbedingungen - da spielen auch Kosten wieder verstärkt eine Rolle. Beispielsweise fahren die Kollegen unserer Auslandshandelskammern in Nordamerika von einer Grundsteinlegung zur nächsten, weil viele deutsche Unternehmen erkannt haben, wie attraktiv die USA als Investitionsstandort sind. Diese Dynamik fehlt mir in Deutschland.

"Attraktiver als alles, was wir hier in Europa haben"

Was könnte man tun, um diese im Land zu halten?
In den USA gilt für energieintensive Nutzungen teilweise ein Strompreis noch unter dem französischen Industrietarif von 4 Cent. Unternehmen bekommen dazu einen langfristigen Zehn-Jahres-Vertrag. Das ist unvergleichlich attraktiver als alles, was wir hier insbesondere in Deutschland haben.

Was halten Sie von dem Plan der Bundesregierung, einen Industriestrompreis einzuführen?
Herr Habeck diskutiert über einen Energietarif von 6 Cent. Aber damit liegen wir immer noch über dem Preisniveau, das wir vorher hatten. Der Industriestrompreis wäre dann ein gutes Instrument, wenn es diesen Tarif für alle Unternehmen gäbe. Die Bundesregierung will das aber nur für wenige Unternehmen mit einem komplizierten System der Zuteilung und Konditionierung einführen. Da bleiben wieder viele Unternehmen auf der Strecke. Als IHK-Organisation müssen wir uns für eine bessere Alternative einsetzen, weil wir die Unternehmen in der Breite vertreten - kleine, mittlere und große mit unterschiedlich hohem, aber alle eben mit Bedarf an stabilem und bezahlbarem Strom.

Wie hoch schätzen Sie die Chancen, bei dem Thema noch zu Verbesserungen zu kommen?
Das ist jedenfalls nicht zu Ende diskutiert und wir führen hier weiter intensive Gespräche. Ein guter Ansatzpunkt ist die inzwischen in der Bundesregierung gereifte Erkenntnis, dass beim Strompreis etwas getan werden muss. Wir versuchen alles, um eine gute Lösung zu erzielen.

Auch auf das Problem Fachkräftemangel hat die Bundesregierung reagiert. Was bringt uns die erleichterte Zuwanderung?
Die geplanten Erleichterungen im Fachkräfteeinwanderungsgesetz sind sinnvoll. Wir haben dadurch bessere Möglichkeiten, an Fachkräfte aus anderen Ländern zu kommen. Unser Problem ist aber: Es hapert in der praktischen Umsetzung und wir haben nach wie vor keine Willkommenskultur.

Was verstehen Sie darunter?
Es wird Fachkräften häufig schwer gemacht, nach Deutschland zu kommen. Wenn sie nach Deutschland kommen wollen, haben sie oft Verfahren von vielen Monaten vor sich, um ein Visum zu bekommen. Für diese Prozesse fehlen digitale Strukturen, um sie zu erleichtern und zu beschleunigen.

Wo klemmt es denn da? Fehlen die nötigen PCs?
Ich habe mit Botschaftern in afrikanischen Ländern gesprochen. Die sagen mir, ihre Mitarbeiter bearbeiten die Einreise-Anträge waschkörbeweise, die müssen Formulare handschriftlich ausfüllen. Weil die Botschaften zu wenig Personal haben, setzen sich mancherorts die Botschafter am Wochenende selbst hin, um Anträge zu bearbeiten.

Hat die Bundesregierung die schnellere Visa-Vergabe nicht längst zugesagt?
Das Online-Zugangsgesetz sollte bis Ende 2022 umgesetzt sein und unter anderem auch die Beantragung von Aufenthaltstiteln beinhalten. Leider sind wir aber von einer Flächendeckung weit entfernt. Die seit Jahren zu langsame Geschwindigkeit bei der Verwaltungsdigitalisierung ist ein schwieriges Thema. Auch bei der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben wir Nachholbedarf. Der gesetzliche Anspruch auf Kinderbetreuung kann nicht erfüllt werden, solange das Angebot viel niedriger ist als die Nachfrage. Und die Angebote unserer Kitas müssen gerade in den Randzeiten flexibler sein.

"Die Verlustrate ist einfach zu groß"

Klagen über Fachkräftemangel und trotzdem eine hohe Zahl Arbeitsloser. Wie passt das zusammen?
Aus meiner Sicht eine besondere Herausforderung ist, dass 2,5 Millionen junge Deutsche zwischen 20 und 35 keinen Berufsabschluss haben. Jedes Jahr verlassen nahezu 50.000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss. Diese Zahl ist einfach zu hoch.

Was schlagen Sie vor?
Die Schulbildung muss für eine bessere Grundqualifizierung sorgen. Alle Schulabgänger müssen fit für eine Ausbildung sein. Und ja, Sie haben recht, wir haben 2,5 Millionen Arbeitslose und gleichzeitig fast zwei Millionen offene Stellen. Aber häufig passen die Anforderungen der Betriebe nicht zu den Qualifikationen der Arbeitslosen oder die Arbeitslosen suchen nach anderen Tätigkeiten. Damit Arbeitslose besser in Beschäftigung kommen, sind zum Beispiel Teilqualifizierungen oder das Nachholen von Berufsabschlüssen wichtig. Auch die Bereitschaft zu höherer Mobilität kann ihre Jobchancen erhöhen.

Sie sprechen ja auch persönlich mit dem Bundeskanzler. Was wäre ihr wichtigster Tipp für ihn, wenn er danach fragen würde?
Ein ganz wichtiger Punkt ist die Bürokratie. Wir haben dem Bundeskanzler auch schon ein ganzes Paket von Vorschlägen vorgelegt. Da geht es um Bürokratieabbau, Digitalisierung und so weiter. Für entscheidend halten wir bei der DIHK die Idee, an manchen Stellen auf Bürokratie ganz zu verzichten. Müssen wir die Unternehmen wirklich bei jedem Schritt kontrollieren und überwachen? Ich meine, vieles geht auch ohne staatliche Genehmigungsstempel, weil die Betriebe von sich aus häufig das Richtige machen.

Zur Person:
Peter Adrian ist seit dem 24. März 2021 DIHK-Präsident. Der Immobilienunternehmer leitet die von ihm aufgebaute TRIWO AG, die bundesweit rund 30 große Industrie- und Gewerbeparks betreibt - etwa den Flughafen Oberpfaffenhofen bei München, den Adrian als Forschungs- und Entwicklungsflughafen ausbaut.

Martin Armbruster

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